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Rufbereitschaft kann Arbeitszeit sein

Das Arbeitsrecht kennt neben der eigentlichen Arbeitszeit auch drei unterschiedliche Formen der Bereit-schaftszeit mit unterschiedlichen Auswirkungen.

Bei der Arbeitsbereitschaft befindet sich der Arbeitnehmer während der Arbeitszeit am Arbeitsplatz und wartet auf ihm zugewiesene Arbeit. Das BAG spricht hier von „wacher Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung“. Hier handelt es sich ohne Frage um Arbeitszeit, die allerdings nicht die gleiche Gewichtung erfahren muss, wie echte Arbeitszeit, da gleichzeitig ein gewisses Maß an Entspannung möglich ist. Daher lässt das ArbZG ab etwa 30 % Arbeitsbereitschaft eine Verlängerung der zulässigen maximalen Arbeitszeit von 10 Stunden zu.

Beim Bereitschaftsdienst muss sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und der Aufforderung zur Arbeit unverzüglich nachkommen können. Arbeitszeitlich gelten für den Bereit-schaftsdienst die gleichen Regelungen wie für die Arbeitsbereitschaft. Tatsächlich ist zwischen beiden der Unterschied im Wesentlichen der Ort, an dem sich der Arbeitnehmer aufhält. Auch ist bei Arbeitsbereitschaft entgegen dem Bereitschaftsdienst eine gewisse Kontroll- und Beobachtungspflicht gegeben. Seit einer Ent-scheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 09. September 2001 ist auch im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) geregelt, dass Bereitschaftszeit grundsätzlich Arbeitszeit ist

Gänzlich anders verhält es sich mit der Rufbereitschaft. Hier kann der Arbeitnehmer seinen Aufenthalt frei bestimmen. Er muss nur bei Bedarf innerhalb einer bestimmten Frist am Arbeitsplatz erscheinen und seine Arbeit aufnehmen können. Nach bisheriger Rechtsprechung zählt die Rufbereitschaft nicht zur Arbeitszeit. Sie ist daher von der Länge her unbegrenzt zulässig und auch nicht zu vergüten.

Der EuGH hat seine diesbezügliche Rechtsprechung jedoch in seinem aktuellen Urteil vom 21.02.2018, C-518/15 (Ville de Nivelles gg. Matzak) aufgeweicht. Geklagt hatte hier ein Feuerwehrmann in Belgien, der seine über Jahre geleisteten Rufbereitschaftszeiten vergütet wissen wollte. Erstinstanzlich wurde ihm Recht gegeben. In der Berufungsinstanz wurde der Fall mit mehreren Fragen dem EuGH vorgelegt.

Im Streitfall musste der klagende Feuerwehrmann während der Rufbereitschaften nicht nur für seinen Arbeit-geber erreichbar sein, sondern er war verpflichtet, einem Ruf zum Einsatzort innerhalb von acht Minuten Folge zu leisten. Außerdem musste er an einem von seinem Arbeitgeber bestimmten Ort, d.h. in einer eng definierten Nähe zur Feuerwehrkaserne persönlich anwesend sein. Im Unterschied zu den Bereitschaftsdienst-Fällen war dieser Ort allerdings der Wohnsitz des Klägers und nicht sein Arbeitsplatz. Insgesamt kommt der Gerichtshof mit Blick auf diesen Fall zu dem Ergebnis, dass die hier streitige Rufbereitschaft als Arbeitszeit im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2003/88 anzusehen ist.

Der EuGH stellt damit zwar nicht allgemein fest, dass Rufbereitschaften als Arbeitszeit im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2003/88 zu gelten haben. Allerdings kommt eine solche Bewertung in Betracht, wenn die Reaktions-zeiten, die der Arbeitnehmer gewährleisten muss, sehr kurz bemessen sind, und wenn sich der Arbeitnehmer in einer dementsprechend geringen Entfernung vom Betrieb aufhalten muss.

Die Entscheidung zeigt, dass es im Zweifel sehr auf den Einzelfall und die konkreten Regelungen ankommt. Was auf den ersten Blick wie eine Rufbereitschaft aussieht, kann sich bei näherer Betrachtung als Bereit-schaftsdienst herausstellen mit weitreichenden Folgen. Nicht nur entsteht damit ein Vergütungsanspruch, son-dern auch die Gefahr, dass der Arbeitnehmer permanent die arbeitszeitgesetzlichen Ruhezeiten und Höchst-grenzen nicht eingehalten hat.

Martin Becker
Rechtsanwalt und Mediator, Winfried Becker & Partner, Lemgo